5. September 2015

Twin Peaks und das Böse

In diesen Tagen, in diesen Wochen, geht etwas in mir vor, verändert mich, von dem ich noch keine klare Vorstellung habe, was es ist. Ich komme wie vor wie Special Agent Dale Cooper aus der Kultserie Twin Peaks von David Lynch. Das Böse hat von mir Besitz ergriffen. Wie konnte das nur geschehen? Ausgerechnet mir, und Dale Cooper. Reden wir zuerst von ihm. Cooper, ein Kaffeejunkie wie ich, verschlägt seine Arbeit in ein trostloses gottverlassenes Nest irgendwo in den Nordwesten der Vereinigten Staaten, wo er zuerst den mysteriösen Mord an einer jungen Frau aufklären soll, sich aber dort mit immer weiteren Fällen konfrontiert sieht, deren Lösung mit dem Rätsel um eine sogenannte »schwarze Hütte« zu tun hat. Dieser in einer anderen Welt liegender Ort, muss das pure Böse sein. Cooper schafft es in diese Hütte, und entkommt ihr wieder. Scheinbar unverändert sieht man ihn dann, in einer der letzten Szenen der Serie, wie er an einen Spiegel herantritt und sich sein Gesicht im Spiegel zu einer grinsenden Grimasse verzerrt und in BOB, das personifizierte Böse, verwandelt. BOB hatte von Special Agent Dale Coopers Seele Besitz ergriffen.

Damit endete die zweite Staffel der Serie Twin Peaks, und ließ die Zuschauer mit der Frage zurück, ob es Cooper gelingt, sich wieder vom Bösen zu befreien. Das ist jetzt mehr als zwanzig Jahre her, und die Fangemeinde hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass eine Fortsetzung gedreht wird. Doch die soll nun kommen, wie kürzlich zu lesen war. Ich bin gespannt, und werde diese nun kommende 3. Staffel der Serie sicher nicht verpassen. Es ist von 2016 die Rede, aber da kommt es jetzt auf ein oder zwei Jahre mehr auch nicht an.

Wie Dale Cooper ergeht es mir derzeit, wenn ich in meinen geistigen Spiegel schaue. Auch von mir scheint das Böse Besitz ergriffen zu haben. Ich sehe mich als Nazi, als Rassist, als Sexist, als Fremdenhasser, als Pack. Manchmal kann ich die Fratze des BOB verscheuchen, doch im nächsten Augenblick, beim nächsten Blick in den Spiegel, ist sie schon wieder da, und schlimmer noch, ich beginne mich mit dieser Fratze anzufreunden.

Dem Guten, dem reinen Guten, habe ich noch nie so richtig vertraut. Darin liegt wahrscheinlich mein Vergehen, die Überzeugung zu haben, dass es das reine wahre Gute nicht gibt. Und wer sich nicht mit seinem Glauben an das Gute schützen kann, der ist anfällig für das Böse.

Dabei, so können wir in diesen Tagen bei einem Blick in die Medien fest stellen, diesem Spiegel der Gesellschaft, ist die Trennung in Gut und Böse eine unbedingte. Von Hell- und Dunkeldeutschland ist die Rede, mit Metaphern wird jongliert, die der Phantasie eines David Lynch entsprungen sein könnten. Wer nicht für mehr Ausländerzuzug ist, ist sogleich Nazi und Rassist, wer Klimaschutz für Schwachsinn hält, ist Umweltfrevler, wem die Genderei Ekelblasen auf den Lippen verursacht, ist Sexist und Frauenfeindlich. Die Liste lässt sich fortsetzen. Schon die blasphemische Frage danach, was denn die Auswirkungen von all dem Gutem sind, stellt den Fragenden als jemanden dar, der offen für das Böse ist.

Nur, kann das Gute ganz und gar gut sein, egal ob die Folgen die aus den guten Handlungen resultieren, böse Nebenwirkungen haben? Was bewirkt die gegenwärtige Völkerwanderung für die Ziel- und was für die Herkunftsländer? Welche Folgen hat der Klimaschutz, welche Ressourcen werden dabei verschwendet, die dann für andere Aufgaben nicht zur Verfügung stehen? Diese und weitere Fragen scheinen nebensächlich, gilt es doch die Reinheit des Glaubens ans Gute zu verteidigen. Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat. Ups, hat sich schon wieder was böses, in Form eines Zitates vom letzten Kaiser Deutschlands, eingeschlichen. Vergessen wir das schnell wieder.

Wie wir sehen, die Unterscheidung in Gut und Böse ist gar nicht so einfach, vor allem dann, wenn es um die Folgen der guten oder bösen Taten geht. Der Medienspiegel zeigt diese Folgen nicht, ihm geht es darum eine Illusion darüber zu vermitteln, was wir sind, und nicht was wir tun. Wir sind die Guten oder die Bösen, was wir tun wird nicht nach dem bewertet welche Wirkung es hat, sondern danach aus welcher Überzeugung und aus welchen Glauben heraus es geschieht. Dabei wird eigentlich anders herum ein Schuh daraus, denn an den Früchten sollt ihr erkennen, heißt es bei Matthaeus in der Bibel.

Gaukelt mir mein Spiegel möglicherweise etwas vor, wenn er mir aufzeigt, dass ich böse bin, weil ich die gegenwärtige Völkerwanderung stoppen würde, auch mit Gewalt, ganz ähnlich wie es die Ungarn derzeit tun? Oder bin ich böse, weil mir das Klima in hundert Jahren herzlich egal ist, die Genderei für Selbstverleugnung halte, und für Kulturfrevel noch dazu? Für alles dies, diese meine Überzeugungen, habe ich gute Gründe. Sie kommen nicht aus den Bauch heraus, wenngleich die jeweiligen Herleitungen hier nun nicht aufgezeigt werden können. Wir wollen uns ja nicht verzetteln.

Wahrscheinlich habe ich nur in den falschen Spiegel geschaut, als ich mich als Nazi, Rassist oder Umweltfrevler sah: in den Medienspiegel, dessen Gut-Böse-Unterscheidung aber ein Trugbild ist, weil er nur eine Haltung reflektiert und nicht das was aus der Haltung resultiert. Vielleicht muss man manchmal böse sein, um Gutes zu tun. Ist man dann aber wirklich böse, wenn man Gutes bewirkt? Vielleicht, vielleicht auch nicht!

Je länger ich darüber nachdenke, um so unsinniger erscheint mit diese Unterscheidung. Ob Pack oder Nicht-Pack, ob Hell- oder Dunkeldeutscher, nichts an diesen Unterscheidungen sagt etwas darüber aus, was die Resultate unseres Handelns sind. Doch nur diese Resultate, mit ihren Wirkungen und Nebenwirkungen, können beurteilt werden. Ob sie so gewünscht sind, ob man die Nebenwirkungen noch vertragen kann, ober ob man jegliches Handeln besser unterlässt. Mit Gut und Böse hat dies überhaupt nichts zu tun. Die schwarze Hütte, wie ihr Gegenstück die Weiße, entstammen einer anderen Welt, oder wie Deputy Hawk dem Agent Cooper erklärt, einem extradimensionalen Ort, in welchen die menschliche Seele nach einer gewissen Begegnung und Prüfung gelangen kann. Kurz, diese Unterscheidung, wie alle die hier aufgeführten Gut-Böse-Unterscheidungen gehören ins Reich der Mythologie. Wir sehen es doch in der Realität an den Früchten was Gut und was Böse ist.

Vielleicht sollte ich hin und wieder mal in die Bibel schauen, oder in andere gute Bücher, um mir die dort transportierten Weisheiten zu Gemüte zu führen, statt solche Serien wie Twin Peaks für bare Münze zu nehmen, und mich mit Phantasiefiguren zu vergleichen, oder auch mit den Trugbildern der Medienspiegel. Und dann komme ich sicher zu dem Schluss, dass ich sowohl gut als auch böse bin, wie wir alle übrigens, je nachdem wie, wann und wo.

2 Kommentare :

  1. Durch diesen Beitrag auf der Achse des Guten, bin ich zu Glitzerwasser gekommen und muss Ihnen Respekt für die meist erstklassigen Artikel zollen. Was Spiegel und Co. uns täglich zumuten ist dagegen ein Armutszeugnis und selbst die FAZ vermutet wohl nur noch grenzdebile Leser hinter ihrem Blatt. Intellektuell anspruchsvolle und redliche Beiträge muss man mit der Lupe suchen. Leserkommentare, die dieses Missverhältnis zwischen einfältigem Journalismus und klugen Lesern beleuchten, werden schon lange nicht mehr zugelassen.

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  2. ....."Je länger ich darüber nachdenke, um so unsinniger erscheint mit diese Unterscheidung. Ob Pack oder Nicht-Pack, ob Hell- oder Dunkeldeutscher, nichts an diesen Unterscheidungen sagt etwas darüber aus, was die Resultate unseres Handelns sind.".....


    Okay, aber auch wenn Sie konsequenzialistisch denken, wofür es ja gute Gründe gibt, sind die Probleme, welche um die Begriffe Gut/Böse kreisen nicht vom Tisch. Man verschiebt das lediglich. Ansonsten könnten uns die "Resultate unseres Handels" doch völlig wurscht sein. Warum interessieren die überhaupt ?

    ....."Doch nur diese Resultate, mit ihren Wirkungen und Nebenwirkungen, können beurteilt werden......"

    Schön, aber nach welchen Kriterien? Wo kommen die her ?


    ....."Ob sie so gewünscht sind, ob man die Nebenwirkungen noch vertragen kann, oder ob man jegliches Handeln besser unterlässt. Mit Gut und Böse hat dies überhaupt nichts zu tun....."


    Womit hat das denn stattdessen zu tun? Mal unter der Annahme, dass das Handeln nicht vollständig privat ist indem man wie Robinson lebt, was aber - weil praktisch unmöglich - keiner macht.

    Aber am Ende Ihres lesenswerten Beitrages freunden Sie sich mit dem Gut/Böse-Konzept dann ja doch deutlich an. Gut so ;)

    Indessen begnügt sich die die Bibel nicht mit der lakonischen Feststellung, es gibt halt davon was und davon was. Sie fordert uns (insofern man das zulässt, also Christ ist), und zwar massiv. Was nicht so einfach ist, denn das Böse - dort Sünde genannt - ist erblich, mit der Geburt da, auch wenn man nicht gerade behaupten kann, dass das Neugeborene schon Gelegenheiten zu Tathandlungen hätte - so jedenfalls der Glaube der Christen, insofern ernst genommen. Eigentlich ist die dahinter stehende Aussage die: Wir lieben das Böse, sollen es aber nicht lieben. Eine nicht gerade schmeichelhafte Aussage. Aber mit Schmeicheln und Eiapopeia hat die Bibel eh nix zu tun - es werden harte Forderungen präsentiert - in Verbindung mit der Gnade. Da muss es aber auch einen Grund für die Gnade geben. Der "eigentlich" Gute und von sich überzeugte braucht sie nicht.

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