21. Juni 2014

Lieber Heinz Eng,

(ein Brief als Antwort auf unsere Diskussion im Science-Skeptical-Blog und bei Primaklima):
Als Kinder haben wir immer Frieden gespielt, aber wir wussten nicht was das ist, wir kannten nur den Krieg, der war für uns normal. Wir haben nicht gelitten, es war sogar irgendwie spannend.
Dies erzählte mir einmal eine ältere Frau, die ihre Kindheit in einem südlichen Vorort von Stuttgart während des 2. Weltkriegs erlebt hat. Der Frieden verwandelt alles, ein Sandhaufen wird zum Pudding und dergleichen mehr. Die Frau, ich weiß nicht ob sie noch lebt, meinte, wenn immer vom Leid der Kinder gesprochen wird, muss man dies mit dem vergleichen was die Kinder kennen. Ist es der Krieg, dann ist der Krieg Normalität, ist es der Frieden, dann eben der.

Nun sollte man natürlich erwähnen, dass die Frau ihre Heimat nicht verlassen musste, ihr Haus wurde nicht bombardiert, nur wenn Stuttgart was abgekriegt hatte, waren natürlich die Feuer am Horizont zu sehen. Oder eben der in der Ferne durch die Feuer erleuchtete Nachthimmel machte auch Kindern bewusst, wie gefährlich der Krieg selbst für sie ist. Als Pforzheim brannte, oder Ulm, hätte man das bis auf die Fildern, so heißt die Gegend südlich von Stuttgart, sehen können.

Aber alles dies hätte sie nicht traumatisiert, die gewohnte Umgebung war nicht in Mitleidenschaft genommen, und was uns als Bedrohung und Störung der Ordnung vorkommen mag, wie etwa Fliegeralarm oder entsprechende Übungen in der Schule zum Schutz vor den Bedrohungen, waren Normalität. Man kannte es gar nicht anders. Das Kriegsende stellt ebenfalls für die Kinder keinen besonderen Einschnitt dar, manches, wie der Fliegeralarm, kam nicht mehr vor, aber die vertraute Umgebung war vorhanden, und Stück für Stück wuchs man in eine neue sich ebenso Stück für Stück verändernde Umgebung und Gesellschaft hinein.

Wie anders hingegen die Erzählungen meiner Mutter, sie und Millionen anderer Heimatvertriebenen, wurden traumatisiert durch den Verlust der Heimat. Wenn meine Mutter von Ihrer Kindheit in Schlesien erzählte, dann gleicht das dem was mir die Frau von den Fildern berichtete, bis zu dem Zeitpunkt als sie ihr zu Hause verlassen musste, ihre vertraute und gewohnte Umgebung. Eine komplexe Ordnung wurde aufgelöst, die ja nicht nur durch die Familie vorgeben ist, oder einem Elternhaus, sondern auch gewachsene Hierarchien im Ort einschließt, inklusive der entsprechenden Erzählungen und der Erinnerungskultur. Auf einmal wurden andere Leute wichtig, solche die dort waren wo man um Obdach betteln musste, oder von denen Gefahr ausging. Mit dem Verlust der Heimat gingen auch viele kulturelle Erklärungsmuster den Bach runter, sie stimmten einfach nicht mehr in der neuen Umgebung.

Jede Heimat hat Ihre Kultur, bestimmte Erzählmuster, Vertrautheiten die nur dort vorkommen und für denjenigen der sich in diesem Kulturkreis heimisch fühlt, weil er eben da hinein geboren wurde und Handlungsweisen und Erklärungen sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat, zu einem Stück seiner Identität wird.

Die DDR, lieber Heinz, war deine Heimat. Die kulturelle Heimat vor allem. Das hat erst mal nichts mit Ideologie oder Sozialismus zu tun, sondern mit den Vertrautheiten die die Heimat liefert und die vor allem kulturellen Charakter hat. Freilich hast Du mit der Zeit auch erkannt dass die Erklärungen der Politik für die Zustände in deiner Heimat der Wirklichkeit nicht stand hielten. Erste Kritik, Zweifel, Skepsis an der Ideologie kamen auf, wie Du in vielen Beispielen schilderst. Aber Kultur ist eben viel mehr als nur ein durch eine Ideologie geschaffenes Weltbild, sondern wird gefühlt und absorbiert durch das erlebte Umfeld. Gerüche, Geräusche, Farben, Pflanzen und Tiere, die Kirche im Dorf, der Kegelclub, ja selbst die Schlaglöcher auf der Straße werden zur Vertrautheit und fließen ins Heimatgefühl ein.

Aus diesem vor allem emotionalem Umfeld heraus werden Entscheidungen getroffen, nicht nur kurzfristige, sondern sind auch Basis für Lebensplanungen, dass die vertraute Kultur verschwindet ist nicht vorstellbar, für viele zumindest.

Am Beginn unseres Streites über die DDR habe ich es mir leicht gemacht mit der Erklärung: „Der Heinz ist eben ein Opportunist gewesen, der seinen früheren Opportunismus nun als Gegnerschaft zum System verklärt.“ Ein Fünkchen Wahrheit wird schon drin stecken, aber bei anderen ist das vermutlich viel mehr der Fall, als bei dir. Wendehälse hat man solche Opportunisten genannt, was aber eigentlich nur eine etwas despektierliche Umschreibung für Menschen ist, die sich schnell auf neue Umstände einstellen und ihren Vorteil daraus zu ziehen versuchen. Opportunismus in seiner reinsten Form ist purer Egoismus. In diese Schublade wollte ich Dich dann doch nicht stecken.

Ich hatte es schon im Beitrag über den Verlust des Bürgertums in der DDR geschrieben, die DDR war für deren Bewohner nicht mehr nur ein Provisorium, sondern bekam identitätsstiftende Bedeutung. Menschen fühlten sich als DDRler, auch ohne dass damit eine Aussage hinsichtlich der Akzeptanz einer diktatorischen Ideologie getroffen wurde. Die Alltagskultur bewirkte dies durch die Vertautheiten des Umfeldes. Sie wurde zur Heimat, auch wenn man dem Regime kritisch gegenüber stand, umso mehr gilt dies für die die diese Kritik nicht teilten, sondern von der Richtigkeit der Ideologie überzeugt waren.

Nebenbei bemerkt, hier gibt einen sehr wesentlichen Unterschied zur Sowjetunion. Während dort lokale ethnische-kulturelle Republiken gebildet wurden, etwas was es vergleichbar im Zarenreich nicht gab, um diese nur auf dem Papier selbständigen Republiken besser steuern zu können, ging man in der DDR einen anderen Weg. Hier wurden ethnisch-kulturelle Gebilde versucht zu zerschlagen, zumindest in den Hintergrund zu drücken. Sowas wie Bundesländer, oder Sowjetrepubliken, gab es nicht. Die Verwaltung war in Bezirke aufgeteilt. Ob das allerdings der Grund ist, warum sich parallel zur ethnisch-kulturellen Identität (Sachsen und Thüringen vor allem) eine DDR-Identität in relativ kurzer Zeit entwickelte, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch dass es sie gab, steht für mich fest und betrifft sogar mich selbst.

Die Wende, und der damit verbundene schelle Wandel der Alltagskultur bewirkten nun eine Identitätskrise. Alte Vertautheiten lösten sich auf, neues wurde bestimmend. Ganz ähnlich haben es die Vertriebenen nach dem 2. Weltkrieg empfunden. Die Heimat, welche immer auch identitätsstiftend ist, war weg. Sie mussten in einem beinah als feindlich empfundenen Umfeld klar kommen, wurden als Rucksackdeutsche beschimpft, und schlimmeres. Dennoch gelang es die Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene zu integrieren, ihnen eine neue Heimat zu geben, wenngleich es für viele erst in der zweiten Generation zur Heimat wurde. Insgesamt war diese Integration eine gewaltige Aufgabe, von allen Seiten, und gehört meines Erachtens zu besten Dingen die die Bundesrepublik geleistet hat. Trotz aller Schwierigkeiten die damit verbunden waren und auf individueller Ebene gar bis zu Tragödien geführt haben mögen.

Was wir nun erleben ist gewissermaßen eine Neuauflage der Flüchtlingsproblematik der Nachkriegszeit. Wieder müssen Millionen von Menschen integriert werden die zwar nicht ihre geographische Heimat verloren haben, dafür aber ihre kulturelle. Willi Brand hatte nämlich mit seinem Ausspruch: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ unrecht. Es wächst nichts zusammen, es wird integriert. Richtig hätte es heißen müssen: „jetzt wird integriert, was hinzu gehört.“ Die DDR hat sich selbst aufgelöst, war ideologisch wie wirtschaftlich bankrott und hat ihre Bewohner als Kulturvertriebene hinterlassen. Ein Zusammenwachsen zweier deutscher Staaten hat es nicht gegeben, wie auch, wenn die DDR sich selbst auflöste.

Dass diese Integration nicht problemlos abläuft musste jedem, der die Befindlichkeiten auf beiden Seiten der Mauer einigermaßen kannte, klar sein. Entweder war die Politik naiv als sie solcherart suggerierte, oder sie hatte zu wenig Vertrauen zu ihrer Bevölkerung um ihr reinen Wein einzuschenken.

Ich sprach von Kulturvertiebenen, Entschuldigung bitte, dies ist nicht vollständig. Eigentlich hat die DDR drei verschiedene Typen hinterlassen. Opportunisten, Kulturflüchtlinge und Kulturvertriebene. Ich bin ein Kulturflüchtling, bin vor der DDR-Kultur geflüchtet. Du Heinz, bist ein Kulturvertriebener, Dir wurde deine kulturelle Identität geraubt in dem sich die DDR auflöste. Und die Opportunisten. Über die müssen wir uns bezüglich der Integration in die Bundesrepublik keine Sorgen machen, die kommen überall klar.

Ich habe hier jetzt wenig über Systeme gesprochen, nicht über das kapitalistische, nicht über den Sozialismus ostdeutscher Prägung, auch nicht darüber wer wann welcher Ideologie glaubte, oder welche Weltbilder vorherrschend waren, mir gilt es darum zu verstehen, warum Menschen die DDR als Heimat betrachten konnten, auch dann wenn man der vorherrschenden Ideologie ablehnend gegenüber stand.

Dieser Aspekt ist aber wichtig, wenn die Integration von Millionen DDRlern gelingen soll, zumindest in der 2. Generation, wie bei der ersten großen Integration von Millionen heimatloser Deutscher nach dem Krieg.

Herzlichst

Quentin



Dossier: Heimat

4 Kommentare :

  1. Lieber Heinz,

    in deinen Beschreibungen wird immer wieder klar, dass Du Dich auch, manchmal hauptsächlich, als Opfer siehst. Von einer Entwicklung die Du nicht gewollt hast. Immer wieder tauchen die Begriffe «Treuhand» und «verscherbeln» auf, oft im Zusammenhang und hier auch «verscherbeln unserer Vergangenheit».

    Ich meine, dass passt schon. Die Treuhand verscherbelte eine Konkursmasse, die Wirtschaft der DDR gehörte dazu. Nicht alles war Schrott, aber vieles, und das was noch verwertet werden kann, hat auch seinen Preis.

    Und wie, wenn eine Firma bankrott geht, fühlen sich manche als Opfer. „Wir haben doch unser bestes gegeben, sogar noch aus Scheiße was gemacht,“ so hört man oft. Dennoch muss die Frage erlaubt sein: „Wer hat Schuld am Bankrott der DDR“. Hier tauchen, auch bei Dir, immer wieder Schuldzuweisungen an andere auf, die aber letztlich nur davon ablenken, dass die DDR, so wie sie existierte, nicht überlebensfähig war.

    Dass sie es nicht war, ist ein Produkt vieler, eigentlich aller DDR Bürger. Obwohl die ihr bestes gegeben haben, tragen sie, jeder zu seinem Teil, zum Misslingen dieses Gesellschaftsmodells bei. Ein jeder trägt Verantwortung. Selbst ich, der sich dort vom Acker gemacht hat. Oder wie es ein Freund ausdrückte: „Wenn alle abhauen die so sind wie du, was soll denn da hier noch werden“. Also trage ich auch Verantwortung.

    Wer sich das nicht eingesteht, wird keinen Neuanfang machen können und immer die Schuld bei anderen suchen. Ob die nun Treuhand oder sonstwie heißen.

    Viele Grüße
    Quentin

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  2. Hallo Quentin,
    ich glaube der Vergleich mit den Sudetendeutschen hinkt etwas.
    Die Sudetendeutschen hatten ihre Heimat verloren und kamen in ein armes zerstörtes Land in dem Alle anpacken mussten. Sie waren zufrieden mit dem schmalen Lastenausgleich und einer Chance vor allem für ihre Kinder.
    Die Wende betraf Menschen deren Heimat bankrott ging in eine vergleichsweise gutfunktionierende Bundesrepublik, aus der Diktatur in eine Demokratie.
    Diese Aufgabe erscheint mir schwieriger.
    Grüße
    Günter

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  3. Ja Günter, sicher sind die Unterschiede groß. Du sprichst den Lastenausgleich an, ein Instrument welches von der Gesellschaft mehrheitlich getragen wurde, und deutlich machte, dass die Menschen, die Bürger, bereit waren Solidarität zu üben. Genauso wie es nach der Wende war. Den Leuten war klar, dass es nicht billig wird zu versuchen die Lebensstandards anzugleichen. Das darf als weitestgehend verwirklicht gesehen werden.

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  4. @Quentin

    ehrlich gesagt ist das eine große Leistung der Bundesrepublik diese Solidarität zu leisten.
    Das ist weltweit einzigartig.

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