17. April 2013

Risiko und die Freiheit

„Auf den Bergen wohnt die Freiheit, in den Tälern wohnt der Neid,“ so heißt es in einem Volkslied, und wer kennt dieses Berggefühl nicht, auf dem Gipfel zu stehen um mit dem Blick in die Ferne auch den Gefühlen und Gedanken einen weiteren Horizont zu ermöglichen. Manchmal genügt schon ein Hügel - auf Rad- oder Wanderkarten sind solche Stellen als Aussichtspunkt gekennzeichnet - auch hier kann dieses Berggefühl abgerufen werden. Und nicht nur dort, Kirchtürme, Fernsehtürme und sonstige von Menschen erschaffene Aussichtspunkte üben die gleiche Anziehungskraft aus.

Ein solches Bauwerk ist nun für den Publikumsverkehr geschlossen wurden: Der Stuttgarter Fernsehturm. Der Bandschutz entspreche nicht mehr den Vorschriften und eine Nachrüstung an dem im Jahre 1956 eröffneten Publikumsmagneten gestaltet sich schwierig bis unmöglich. Dabei hat sich die Sicherheitslage überhaupt nicht geändert, sondern nur die Einschätzung darüber was sicher ist, und was nicht. Dies betrifft nicht nur den Fernsehturm, Fahrradfahrer sollen nun Helm tragen, Rauchmelder in den Wohnungen angebracht werden und in den Kneipen ist das Rauchen schon verboten. Dem Bürger wird die Entscheidung abgenommen welchen Risiken er sich auszusetzen bereit ist, und er wird dadurch mehr und mehr als unmündig erklärt.

Diese Einschränkungen haben viel mehr mit Freiheitsrechten zu tun, als es auf dem ersten Blick erscheint, da der Trend generell zu mehr Regulation geht. Warum das so ist, wird vor allem damit erklärt, dass unsere ausdifferenzierten modernen Gesellschaften einerseits größere individuelle Freiheiten erlauben, andererseits aber der Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit in diesen Gesellschaften immer weniger erfüllt werden kann. Dies ist allerdings ein trügerisches Gefühl, es gaukelt uns eine Fülle von Gefahren vor, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Die Sicherheit ist allerorten größer geworden, in allen Lebensbereichen. Sogar die Zahl der Morde und Selbstmorde ist rückläufig.

Jede Regelung ist aber auch immer eine Verhaltenssteuerung, jedes Verbot welches Risiken für die Bürger minimieren will, schränkt gleichzeitig deren Entscheidungsrahmen ein, innerhalb dessen es ermöglicht wird Risiken einzugehen. Die Schlinge zieht sich immer weiter zu, schnürt der Freiheit den Atem ab, bis wir uns nur noch in einem gänzlich durchregulierten Umfeld bewegen. Die Bereitschaft der Menschen Risiken einzugehen, ist aber ein wesentlicher Antrieb nicht nur für den gesellschaftlichen Fortschritt, sondern spielt in der Lebensplanung und Lebenswirklichkeit jedes Einzelnen eine besondere Rolle. No risk, no fun, dieses geflügelte Wort, drückt es nur unzulänglich aus. No risk, no future, sollte es heißen.

Die Eigenverantwortung des Bürger für sein Tun, seine Entscheidungen welche Risiken er bereit ist einzugehen und auch die Konsequenzen zu tragen die daraus entstehen, wird immer weniger als Kriterium für die Freiheit angesehen, sondern eher als Gefahr für die Gesellschaft und für den Bürger selbst wahrgenommen. Gesellschaften werden zu Versichertengemeinschaften erklärt, nichtsolidarisches Verhalten könnte somit zur Belastung der andern führen, weshalb individuelle Risiken nicht mehr nur Konsequenzen für das Individuum haben, sondern für alle.

Diese verordnete Solidarität zwingt uns alle in ein Boot, und hat mit dem ursprünglichen Sinn von Solidarität nichts mehr zu tun, wonach Menschen aus eigenem Antrieb selbstlos anderen helfen, sondern ist eine durch gesellschaftliche Normen geschaffene Anpassung. Wer sich nicht anpassen möchte wird dazu gezwungen. Immer mehr geht der Blick aufs Individuum verloren, seine Wünsche, Hoffnungen, Träume, das wir entscheidet, wie es passend im neuen Wahlkampfslogan der SPD heißt. Das du oder das ich, etwas was Individualität ausdrückt, ist eher eine Gefahr für die Gemeinschaft. Die allerorten neu geschaffenen Regeln, machen diese aber zu Zwangsgemeinschaften aus denen es immer schwerer wird auszubrechen.

Demjenigen der den Gipfel erklimmen möchte werden somit nicht nur viele Steine in den Weg gelegt, sondern sein Rucksack auch noch mit allen möglichen Ballast versehen. Da dieser Wanderer, oder Kletterer, offensichtlich fitter ist als andere, soll er gefälligst auch den Ballast der anderen tragen. Somit wird dann auch gleichzeitig erreicht, dass er den Gipfel gar nicht erreichen kann. In den Tälern wohnt der Neid.

So erklärte denn auch völlig unverfroren Dr. Thomas Kliche, Politikpsychologe, von der Hochschule Magdeburg-Stendal, in einer Sendung des SWR, in der es auch um die Schließung des Stuttgarter Fernsehturms ging:
Der eigentliche Motor für die neuen Regeln sitzt ganz woanders. [...] Ich glaube, dass unsere Gesellschaften verzweifelt damit experimentieren, neue internationale Regeln aufzustellen, mit denen sie so etwas wie Almende schützen können; mit denen sie eine Gemeinverpflichtung mächtiger Mitglieder sicher stellen können.
Hier kommt nun ein weiterer Akteur ins Spiel: Almende, oder auch öffentliche und gemeinsame Güter. Es ist auch klar was er damit meint, gerade im Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsdiskurs wird derzeit viel von dieser Almende gesprochen. Das Nachhaltigkeitspostulat soll über Regeln, die denen aus der Versicherungswirtschaft gleichen, auf die gesamte Menschheit übertragen werden. Gemeinverpflichtung nicht nur der Gesellschaft gegenüber, was schon eine erhebliche Einschränkung der eigenen Risikobereitschaft bedeutet, sondern auch noch der ganzen Welt gegenüber. Welche Anmaßung.

So wird niemals jemand auf den Gipfel kommen und dort durch den Blick auf einen weiteren Horizont zu Erkenntnissen gelangen, die er dann ganz solidarisch mit denen im Tal geblieben teilen kann. Auch der, dass unsere Almende nicht ein versicherungspflichtiges Gut sind, sondern deren begrenzte Verfügbarkeit sehr oft nur einer pessimistischen Weltsicht entspricht, eben einer von Menschen die aus ihren geistigen Tälern nie herauskommen werden.

Regeln, Gesetze, Gebote, Normen und deren inflationäre Ausbreitung zum vorgeblichen Schutz von Zwangsgemeinschaften dienen somit im wesentlichen der Pädagogisierung und machen aus erwachsenen Menschen unmündige Kinder. Die Freiheit ist heute nicht mehr durch böswillige Diktatoren bedroht, sondern von denen die es gut meinen. Die Gutmenschen wollen bestimmen was gut für mich ist. Der Freiheitskampf von heute ist ein Kampf gegen Entidividualisierung. Das Individuum ist entscheidend, das Ich und das Du, nicht das Wir.

2 Kommentare :

  1. Ich halte nicht generell jedes "Wir" für schlecht oder gar gefährlich - dabei gehst Du für meinen Geschmack zu weit - aber dieses gesellschaftliche "Wir" darf gewiss nicht durch ein "Zwangs-Wir" ersetzt werden. Meiner Idealvorstellung entspräche allerdings - neben der neuerlichen Stärkung einer Individualisierung in dem beschriebenen Sinne - ein neu entstehendes Bewusstsein für ein freiwilliges, solidarisches "Wir". Dieses brauchen wir Menschen aller Erfahrung nach, um uns nicht verlassen und allein zu fühlen, selbst auf jenem Gipfel mit der vielversprechenden Aussicht. Denn ich (als Individuum) sehe mich keineswegs als Steppenwolf, der allein durch die Savanne streift, sondern (und dies beweisen ja nicht zuletzt die zahllosen Diskussionen zum Thema im Rahmen der Social Media) als soziales Wesen, das nur innerhalb einer Gemeinschaft wirklich zum eigenen Ich zu finden vermag.

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  2. Lieber Elyseo da Silva

    Ich bin durchaus deiner Meinung dass der Mensch ein ein soziales Wesen ist, Solidarität benötigt und Solidarität gibt. Wenn ich aber daran gehindert werde Risiken einzugehen, mit dem Hinweis, ich könne damit der Solidargemeinschaft schädigen, dann möchte ich einer solchen Solidargemeinschaft gar nicht mehr angehören. Und leider haben wir heute, meiner Meinung nach, eine Tendenz in der Gesellschaft die den Blick fast ausschließlich auf die Risiken zu richtet, und nicht auf auf die Chancen und Möglichkeiten die sich daraus ergeben, wenn Menschen bereit sind Risiken einzugehen.

    Das geht dann soweit, dass das Individuum insgesamt als Bedrohung wahr genommen wird. Wir erleben das gerade ja auch in der Umweltdebatte, in der der Mensch als Schädling dargestellt wird, den man in allen möglichen und unmöglichen Bereichen regulieren muss. Eine Entwicklung die letztlich die Freiheit bedroht. Vermeintlich exklusives Wissen (oder besser Glauben) hat universelle Gültigkeit und alle anderen, auch wenn sie die pessimistische Sicht der Ökologisten nicht teilen, werden dazu gezwungen. Es ist ein Denken welches von Grenzen bestimmt wird, und nicht von der Auslotung von Chancen.

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