19. Juni 2012

Allokationsethik, Ressourcen und der Tod

In einem Text von Eva Horn mit dem Titel: "Enden des Menschen. Globale Katastrophen als biopolitische Fantasie." bin ich auf das Wort Allokationsethik gestoßen. Da geht es hauptsächlich um die ethische Frage, wie knappe Ressourcen verteilt werden. Mit solchen Fragen haben oft Mediziner zu tun. Wer bekommt die Leber? Lässt man einen noch relativ jungen Alkoholiker sterben, weil der die neue Leber ja sowieso wieder kaputt säuft, oder einen älteren Menschen, der theoretisch aber nur noch wenige Jahre zu leben hat? Oder im Katastrophen-, oder Kriegsfall: Wem wird zuerst geholfen? Dem vergleichsweise gering Verletzten, der aber durch die schnelle Hilfe eines Sanitäters eine sehr hohe Überlebenschance besitzt, oder dem Schwerverletzen, der zwar dringendere Hilfe bräuchte, aber wahrscheinlich eh nicht überlebt?

Grundproblem sind die knappen Ressourcen, hier im Beispiel Organe oder Personal, doch lässt sich diese Denkweise auf alle knappen Ressourcen anwenden. Wenn zum Beispiel Überlebende eines Schiffsuntergangs im Rettungsboot im Ozean dümpeln, nicht wissen wann Rettung oder Land in Sicht ist; wie werden die knappen Ressourcen Trinkwasser und Nahrung verteilt? Vor allem letzteres Beispiel zeigt, dass ein Gut, welches eigentlich ausreichend zu Verfügung steht, dann wenn es künstlich verknappt wird, zu einem Ausnahmefall wird in dem besondere Regeln notwendig werden, die es erlauben, bisher unantastbare moralische und politische Werte zu suspendieren (E.Horn). Es geht noch weiter, Horn benutzt die Metapher Rettungsboot auf die ganze Welt, was ja auch von den Gegnern einer ungesteuerten Bevölkerungsentwicklung gerne verwendet wird. Hier wird es notwendig, Horn ausführlicher zu zitieren:
Was die neuen Apokalypsen mit der Fantasie eines "Rettungsboots Erde" aufwerfen, ist eine 'Biopolitik der Knappheit', eine Politik, die das Leben und Überleben der Menschheit unter Bedingungen knapper und knappster Ressourcen denkt. Das Überleben der einen erfordert das Töten der anderen (in Sinne O'Neils: Zugang zu Ressourcen verweigern). Das 'Politische' an dieser Biopolitik bedeutet, dieses Töten im Sinne der Forderung O'Neils mit Begründungen und rationalen Verfahren zu versehen, statt es schamhaft "im Dunkel des Schicksalhaften" zu belassen. Aus Töten soll 'begründetes Töten' werden. [...]

Die ersten Überlegungen zur Allokationsethik erscheinen in den siebziger Jahren, wenige Jahre nach dem einschneidenden ersten Bericht des Club of Rome, Grenzen des Wachstums (1972), der eine Prognose des "superexpontiellen" Bevölkerungswachstums mit katastrophalen Ressourcen-Kämpfen (insbesondere um Wasser, Grundnahrungsmittel und fossile Brennstoffe) stellte. 'Knappheit', 'Überbevölkerung' und 'Umweltzerstörung' prägen als Schlagworte seitdem die Zukunftsprognosen, die - je nach angenommenen Wachstumsraten - für das Jahr 2030 oder erst 2100 bei erschöpften Ressourcen und vergifteter Landschaft einen plötzlichen desaströsen Niedergang der menschlichen Spezies entwerfen. Neuer Updates des Berichts (von 1992 und 2004) berechnen zusätzlich die Folgen des Klimawandels durch CO2 und FCKW, haben aber auch teilweise optimistischere Prognosen im Hinblick auf fossile Brennstoffressourcen und technologischen Fortschritt. Aber mit der neuen Entdeckung der Knappheit beginnt ein biopolitisches Denken, das davon ausgeht, dass menschliches Leben auch 'zuviel' sein könnte [...].

Die Fiktion vom Ende des Menschen haben dabei eine Funktion des Durchspielens von Möglichkeiten, die nicht nur den Grund unseres Vergnügens an tragischen Gegenständen erklärt, sondern auch dessen eminent politische Stoßrichtung. Denn sie spielt nicht nur mögliche Katastrophen-Szenarien durch, sondern vor allem Verhaltensweisen, die durch den Ausnahmezustand, in dem sie stattfinden, ins Exemplarische gehoben werden.
Man muss für diese klaren Worte dankbar sein. Am Anfang ist man vielleicht etwas geschockt, wenn hier vom Töten die Rede ist, Töten durch Vorenthaltung von Ressourcen. Doch diese Darstellung ist nicht übertrieben und es drängt sich die Frage auf, ob die derzeitge Forderung, die Nutzung der fossilen Rohstoffe zu begrenzen, einen solchen Tatbestand darstellt. Ich würde dies eindeutig bejahen, denn Vorenthaltung und Rationierung von Rohstoffen und Ressourcen, vor allem denjenigen Gesellschaften die noch am Anfang einer industriellen Entwicklung stehen, bedeutet, dass eine Entwicklung zu höherem Lebensstandart oder Wohlstand, was immer auch mit höherer Lebenserwartung verbunden ist, verhindert wird. Als Grund für diese Verweigerung wird entweder mit der Begrenztheit der Ressourcen oder mit einer drohenden Klimakatastrophe argumentiert. Dies führt dann zu der von Horn beschiebenen Suspendierung von bisher unantastbaren moralischen und politischen Werten. Der Tod wird im Sinne der Allokationsethik, Stichwort: Biopolitik der Knappheit, billigend in Kauf genommen, da man sich auf einen Notstand beruft, der aber nur theoretisch und umstritten, keineswegs heute real ist.

(Dieser Artikel ist ebenfals im Science Skeptical Blog erschienen)

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