17. Juni 2012

Agenda 2010 und die Energiewende - Teil 2

Im ersten Teil⁽¹⁾ wurde hauptsächlich die Rolle der Fraktion der Kanzlerpartei in Bezug auf den Machterhalt oder des Scheiterns eingegangen, und festgestellt, dass es schon erhebliche Disharmonien zwischen Unions-Fraktion und der Bundeskanzlerin gibt. In der Vergangenheit führte dies mitunter zum Scheitern der jeweiligen Bundeskanzler. So stellte es jedenfalls Hans-Peter Schwarz⁽²⁾ in einer Rede dar. Die Schlussfolgerungen die man daraus ziehen kann, sind durchaus, dass die Machtbasis von Angela Merkel bröckelt und dass dieser Vorgang ähnliche Auswirkungen haben könnte, wie es die Agenda 2010 für Gerhard Schröder hatte. Hier soll dieser Aspekt noch weiter vertieft werden, da in der Zwischenzeit einige Dinge passiert sind, die deutlich machen, wie weit der Riss in der Anhängerschaft der Kanzlerin schon vorgedrungen ist.

Im Handelsblatt⁽³⁾ wurde der wirtschaftspolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, zitiert, der sich für eine schnelle Änderung des EEG ausgesprochen hatte. Insbesondere nimmt er die Photovoltaik aufs Korn: "Denn Photovoltaik ist nicht die Kuh, die am meisten Milch gibt - vielmehr frisst sie den Stromverbrauchern das letzte Haar vom Kopf." Weiter macht er deutlich, dass der Umbau des Energiesystems nur mit dem Markt erfolgreich sein kann und geht damit auf die Worte des Bundespräsidenten ein, der sich ja ebenfalls gegen Planwirtschaft in dem Bereich ausgesprochen hat.

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, könnte man hier sagen, denn wenn man sich durch die verschiedenen offiziellen Verlautbarungen liest, insbesondere vom Bundesumweltministerium, dann ist von einer Trendwende nicht viel zu sehen. Auf dem ersten Blick natürlich nur, denn erstaunlich oft hört man nun das Wort nachsteuern. Dieses Nachsteuern bedeutet nichts anderes als Korrektur, so wie jeder Fahrzeuglenker nachsteuern muss, weil er sonst im Straßengraben landet. Viel wichtiger ist aber, um wieder zurück zum Thema zu kommen, ob die Unionsfraktion der Kanzlerin noch folgt. Und hier sind ernste Zweifel angebracht.

Denn nicht nur der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion verlässt die vorgegebene Linie, auch der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende, Michael Fuchs, findet deutliche Worte,⁽⁴⁾ und fordert: "Das EEG braucht mehr Markt, Bedarfsorientierung und Kosteneffizienz. Ein möglicher Weg könnte die Einführung eines verbindlichen, kontinuierlich ansteigenden, subventionsfreien Eigenvermarktungsanteils sein." Neben anderen Forderungen die alle in die gleiche Richtung gehen, wird ein Kernsatz deutlich, der heißt: Die NIE⁽⁵⁾ müssen sich dem Markt stellen. Und als ob das noch nicht genug wäre, macht er gleich noch ein weiteres Fass auf:
"Neue Technologien verdienen eine Chance. Ein Hochtechnologiestandort wie Deutschland kann es sich beispielsweise nicht leisten, eine innovative Technologie wie das Fracking zur Erkundung unkonventionellen Erdgases, die in vielen Ländern dieser Welt angewandt und fortentwickelt wird, von vornherein auszuschließen. Deutschland muss alles dafür tun, eine neue Kultur der Technologieoffenheit und -freundlichkeit zu schaffen. Das Thema muss verstärkt Eingang in Schule, Ausbildung und Erziehung finden."
Dass er eine neue Kultur anmahnt, dies in Verbindung mit Schulen und unkonventionellem Erdgas, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Schließlich handelt es sich hier nicht um einen Hinterbänkler. Es wird zu beobachten sein, ob sich derartige Äußerungen wiederholen und vor allem, ob sich die Kanzlerin dazu äußert oder schweigt.

Dieses Statement von Fuchs wurde auf dem Wirtschaftstag des Wirtschaftsrates der CDU am 12.06 abgegeben. Der Rat hat einigen Einfluss in der Partei, was auch erklärt, dass Angela Merkel an diesem Treffen daran teilnahm,⁽⁶⁾ ebenso weitere Größen aus Politik und Wirtschaft, wie Günther Öettinger, Jyrki Katainen, Jörg Asmussen, Tuomo Hatakka, Anshu Jain, oder Wolfgang Schäuble. Schon in seiner Eröffnungsrede machte Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates, auf bestehende Differenzen aufmerksam, und kommentierte eine Umfrage unter den Mitgliedern mit den Worten, dass die Energiepolitik der Bundesregierung nur 16% Zustimmung genieße.⁽⁷⁾

In ihrer Rede geht Frau Merkel darauf ein, und merkt an, dass da noch Luft nach oben existieren würde, und hat damit ein paar verhaltene Lacher auf ihrer Seite. Doch auffällig ist, für ihre Erläuterungen zur Energiepolitik bekommt sie keinerlei Beifall. Dieser kommt erst auf, als sie über die Europa- und Schuldenpolitik spricht. Diese Beifallsverweigerung kann vor einem so disziplinierten Publikum nur als offene Ablehnung gedeutet werden.

Kommen wir aber noch mal zurück zur Machtarithmetik der Kanzlerdemokratie. Wie schon in Teil 1 ausgeführt, spielt hier die Fraktion der Kanzlerpartei eine besondere Rolle. Und Angela Merkel bestätigt dies ausdrücklich indem sie Worte Adenauer zitiert, wonach Sitzungen der Bundestagsfraktion der Vorhof zur Hölle seien.⁽⁸⁾ Und weiter noch, dass sie wegen dieser Sitzung die Tagung des Wirtschaftsrates vorzeitig verlassen müsse, denn Bundeskanzler dürften so ziemlich viel, doch nicht zur Fraktionssitzung zu spät kommen.

Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen von Fuchs und Pfeiffer, beide mit wichtigen Aufgaben in der Unionsfraktion betraut, schon ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Fraktion nicht gewillt ist der Kanzlerin kritiklos zu folgen. Angela Merkel wird sich das ganz genau anschauen, sie selbst hatte schon in Oppositionsjahren die Wichtigkeit des Fraktionsvorsitz erkannt (Friedrich Merz kann da ein Lied davon singen.⁽⁹⁾). Um so mehr muss es sie schmerzen, dass sie auf Peter Altmaier in dieser Funktion verzichten muss. Vor allem da sich mit dem Betreuungsgeld eine neue Baustelle aufgetan hat, bei der es auch besonders wichtig ist die Fraktion zusammen zu halten. Hier hat der neue im Amt, Michael Grosse-Brömer, schon mal einen Fehlstart hingelegt.⁽¹⁰⁾

Abschließend lässt sich also feststellen: Die Unionsfraktion macht derzeit keinen geschlossenen Eindruck. Es sieht danach aus, als ob die Karten neu verteilt werden und diese Situation ist für Angela Merkel keine angenehme. Es ist natürlich noch nicht soweit, dass man sie in Frage stellt, doch um die Abweichler, die nun in der einen oder anderen Sache Rückenwind verspüren, wieder einzufangen, wird es Kompromisse geben müssen. Die Zeit dazu wird knapp, die nächste Bundestagswahl steht drohend im Raum.


Verweise/Erläuterungen:

⁽¹⁾ Agenda 2010 und die Energiewende - Teil 1
[Teil 1]


⁽²⁾ Hans-Peter Schwarz ist Politikwissenschaftler und vor allem durch seine Schriften über Adenauer bekannt. Die erwähnte Rede wurde 2009 im Festsaal der Uni Bonn gehalten. Video auf der Seite.
[Wikipedia] [uni-bonn-tv]


⁽³⁾ Der Artikel im Handelsblatt befasst sich hauptsächlich mit der Rede des Bundespräsidenten zur Eröffnung der Umweltwoche. In diese Rede hatte Gauck vor einer Planwirtschaft bei der Energiewende gewarnt.
[Gauck löst Subventionsstreit aus]


⁽⁴⁾ Auf dem Wirtschaftstag des Wirtschaftsrates der CDU ev. war unter anderen Michael Fuchs beim Podium "Industrieland Deutschland: Zwischen Innovation und Abriss" anwesend.
[Statement M. Fuchs] [Reden und Statesments auf dem Wirtschaftstag 2012]


⁽⁵⁾ Die Herkunft des Names NIE (Neue Ineffiziente Energiequellen) ist mir nicht genau bekannt, wahrscheinlich wurde er zuerst in Novo Argumente verwendet. Es sollte damit eine deutliche Abgrenzung zum irreführenden Begriff EE (Erneuerbare Energien) hergestellt werden. Ich bevorzuge ebenfalls den Begriff NIE.

⁽⁶⁾ Das Motto der Tagung war "Deutschland und Europa neu denken: Wege aus der Staatsverschuldung." Es fanden drei Podiums- sowie eine Eröffnungs- und eine Abendveranstaltung statt.
[Programm und Teilnehmer des Wirtschaftstagrd 2012]


⁽⁷⁾Lauk: "Frau Bundeskanzlerin, die Umfrage hat auch gezeigt, dass sie im Grunde 100% Zustimmung im Wirtschaftsrat haben, die setzen sich so zusammen: 84% für ihre Europapolitik und 16% für ihre Energiepolitik"
[Video (Ausschnitt, 0,32 min)]


⁽⁸⁾Videomitschnitt dieser Passage auf Youtube.
[Merkel über die Wichtigkeit der Unionsfraktion]


⁽⁹⁾Nachdem die Parteivorsitzende Angela Merkel nach der Bundestagswahl 2002 den Fraktionsvorsitz für sich selbst beanspruchte, wurde Merz zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt. Im Dezember 2004 trat er von diesem Amt zurück.
[wikipedia: Friedrich Merz]


⁽¹⁰⁾ Sprengsatz: "Natürlich war das nicht nett, dass die Abgeordneten der Opposition dem Hammelsprung zur Feststellung der Beschlussfähigkeit bewusst fernblieben. Aber das gehört zum parlamentarischen Kampf: Beschlussfähigkeit müssen die Regierungsparteien herstellen. Genauer gesagt, die Fraktionsgeschäftsführer."
[Karussell des Unsinns]




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