17. Juni 2012

Agenda 2010 und die Energiewende - Teil 1

Prof. em. Dr. Dr. h. c. Hans-Peter Schwarz hielt 2009 im Festsaal der Uni Bonn einen Vortrag mit dem Titel: "Woran scheitern deutsche Bundeskanzler?"⁽¹⁾⁽²⁾ Eigentlich müsste es richtig scheiterten heißen, denn es geht ja um die ehemaligen Bundeskanzler, und ob die Vorgänge, die in der Vergangenheit wirksam wurden, auch in Zukunft zutreffen, diese Einschätzung überlässt Schwarz dem Zuhörer. Doch klar ist, so erfolgreich sie auch im Zenit ihrer Macht waren, letztendlich sind sie alle gescheitert. Richtig freiwillig ist keiner zurück getreten. Was waren aber die Gründe dafür? Diese sich ein wenig genauer anzuschauen erlaubt einen Einblick in die Machtarithmetik der Kanzlerdemokratie.⁽³⁾ Danach darf man sich die Frage stellen, welche der beschriebenen Vorgänge auch heute noch denkbar und wahrscheinlich sind.

Schwarz nennt 6 Hauptgründe des Scheiterns, wobei zwei herausragen: 1. Massiver Vertrauensverlust des Kanzlers in der eigenen Partei; und 2. Koalitionsbruch.⁽⁴⁾ Punkt 2 können wir erst einmal bei Seite lassen, meist ist/war der Koalitionsbruch auch eine Folge von Vertrauensverlust des Kanzlers in der eigenen Partei. Stellvertretend darf hier der Wechsel der FDP zur CDU/CSU genannt werden. Schmidt konnte sich nicht mehr in der eigenen Partei durchsetzen, und mit einer nach links rückenden SPD unter Willi wollte man nicht mehr weiter machen. Schon hier wird klar, Gefahr für den Kanzler erwächst hauptsächlich aus der eigenen Partei. Ein Bundeskanzler sitzt nur dann fest im Sattel, wenn er die eigene Partei zum Instrument seines Willens geformt hat.

Wobei, so argumentiert Schwarz, zuallererst die Fraktion der Kanzlerpartei genannt werden muss. Selbst wenn sich im Fußvolk Unmut breit macht, solange sich keine ganze Landesverbände gegen Kanzlerentscheidungen stellen, und somit Unruhe in die Fraktion bringen, droht keine wirkliche Gefahr. In diesem Zusammenhang sind natürlich auch Wahlversprechen der Kanzlerpartei zu nennen. Niemals sei ein Kanzler an gebrochenen Wahlversprechen gescheitert.

Das beste Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Kanzler versäumt die eigenen Leute hinter sich zu bekommen, ist Gerhard Schröder. Seine Agenda 2010 spaltete die SPD und führte letztlich zur Wahlniederlage. Doch gerade dieser Vorgang verdient genauer betrachtet zu werden. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Kanzler eine Entscheidung gegen den Widerstand großer Teile der eigenen Partei durchsetzen wollte, dies auch schaffte, dabei aber die Kanzlerschaft verlor. Der Nato-Doppelbeschluss gehörte dazu, wobei, wenn dies der einzige Grund gewesen wäre in der es Differenzen mit der eigenen Partei gegeben hätte, die Sozial-Liberale Koalition wäre nicht gescheitert.

Zwei Meister im Machterhalt als Kanzler kennen wir: Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Beide versicherten sich den Rückhalt ihrer Partei, vor allem der Fraktion, bevor sie grundlegende politische Entscheidungen trafen. Und beide hielten sich für unersetzlich, weshalb sie letztlich auch den Punkt versäumten, die Macht an einen geeigneten Nachfolger abzugeben. Adenauer wurde seine Fixierung auf Frankreich in der Außenpolitik zum Verhängnis, Erhard stand mehr für eine Orientierung Richtung Amerika und konnte mit dieser Ansicht die Mehrheit der Partei hinter sich bringen. Kohl wiederum, er wurde schon lange von einem Popularitätsverlust geplagt, glaube sich unersetzlich weil er nach der deutschen Einheit unbedingt noch den Euro unter Dach und Fach haben wollte.

Doch kommen wir zur Gegenwart. Welche Fehler hat die gegenwärtige Kanzlerin gemacht die vergleichbar wären mit denen ihrer Vorgänger. Von den zwei großen Themen die derzeit die öffentliche Debatte bestimmen, Euro und Energiewende, wird man Merkel den Euro nicht als Fehler an lasten, egal was sie noch beschließt oder wie die Krise ausgeht. Aber es könnte Ihr zum Verhängnis werden, wenn sie ihre Mannen nicht hinter sich bringt. Davon ist momentan nicht auszugehen, am ehesten könnte ihr die FDP einen Strich durch die Rechnung machen, oder das Verfassungsgericht, da aber in der CDU/CSU keine nennenswerte Euroskepsis zu erkennen ist, wird sie eben gegebenenfalls mit einem anderen Koalitionspartner weiter machen. Helmut Kohl hatte eine Vision vom Euro, sah das große Ziel. Angela Merkel fährt auf Sicht. Das ist wohl der große Unterschied zwischen beiden. In Bezug auf Machterhalt hat Merkel in der Eurofrage keine Fehler gemacht, ihrer eigenen Fraktion und ihrer Partei konnte und kann sie sich sicher sein.

Anders sieht es mit der Energiewende aus. Diese Entscheidung wurde in den eigenen Reihen nicht gründlich vorbereitet und viele Parteianhänger fühlen sich überrumpelt. Entsprechender Unmut ist deshalb an der Parteibasis vorhanden und bricht nur deshalb nicht deutlicher hervor, weil bei CDU/CSU eine größere Selbstdisziplin herrscht. Entsprechende Vorgänge in der SPD hätten schon lange zu einem offenen Schlagabtausch geführt. Doch auch wenn man in der CDU den offen ausgetragenen Konflikt scheut, ist einem Profi wie Frau Merkel, mit ihrem Gespür für Macht, bewusst, dass sie nun das Versäumte nachholen muss. Dazu muss sie auf die Kritiker der Energiewende zugehen, denn der Unmut beginnt die Fraktion zu erreichen⁽⁵⁾ und wenn Hans-Peter Schwarz Recht hat mit seiner Analyse, so ist die Fraktion der Kanzlerpartei der wichtigste Indikator über die Macht der Bundeskanzler.

Noch ist es nicht zu spät für Frau Merkel die Versäumnisse nachzuholen, die Frage ist nur, will sie das auch. Dazu muss sie abwägen was ihr wichtiger ist: die Energiewende oder der Machterhalt. Die Antwort dürfte klar sein, der Machterhalt natürlich. Dazu braucht sie aber Leute, die versöhnend statt spaltend wirken. Vor diesem Hintergrund muss auch die Entlassung Norbert Röttgens gesehen werden, der hätte nur zu einer weiteren Spaltung der Partei, und letztlich auch der Fraktion, beigetragen und damit Merkels Machtbasis bedroht.⁽⁶⁾

Helmut Kohl wurde nachgesagt, dass er engen Kontakt bis hin zu den jeweiligen Kreisverbänden gepflegt hat, weshalb er auch ein Gespür hatte, was mit seiner Partei geht und was nicht. Und als sich dann doch ein Putsch ankündigte, konterte Kohl seine Gegner souverän aus.⁽⁷⁾ Ganz anders Gerhard Schröder, der noch in der Wahlnacht seiner Niederlage vor millionenfachem Publikum von seiner SPD sprach. Das war schon lange nicht mehr seine SPD, er hatte es nur noch nicht gemerkt.

Bei Angela Merkel konnte man in letzter Zeit Tendenzen erkennen, die dem Realitätsverlust des Gerhard Schröder gleichen. Falscheinschätzungen über die Befindlichkeiten in der Partei und Fraktion. Die Unruhe die da herrscht darüber, dass eine Reihe von Landtagswahlen verloren gegangen sind, und das die Hinwendung zu den Grünen die Stammwähler ins Lager der Nichtwähler treibt. Mandatsträger sehen ihre Zukunft gefährdet, und wenn keine Aussicht auf Besserung der Missstände besteht, wird man sich auf die Suche nach einem Brutus machen.

Sie kommt aus dieser für sie bedrohlichen Lage nur heraus, wenn sie die Partei wieder geschlossen hinter sich bringt. Dazu muss sie auf die Kritiker der Energiewende zugehen und auch hier das große Ziel fallen lassen und sozusagen auf Sicht fahren. Wenn dies geschieht, und momentan deutet vieles darauf hin, wird allerdings von der Energiewende nicht mehr viel übrig bleiben. Weil dieses auf Sicht fahren bedingt, dass nun die vor den Füßen liegenden Probleme erkannt werden und das Handeln bestimmen. Sollte sie sich entschließen die Energiewende mit nun neuem Personal aber mit den gleichen Inhalten durchzudrücken, wird sie das gleiche Schicksal erleiden wie Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010. Es wäre nur noch offen auf welche Weise sie gestürzt wird: Durch Putsch oder durch Abwahl.

(geringfügig veränderte Version des Artikels Agenda 2010 und die Energiewende im Science Skeptical Blog)


Verweise/Erläuterungen

⁽¹⁾ Wikipedia: Hans-Peter Schwarz
[Wikipedia]


⁽²⁾ Video der Rede von Hans-Peter Schwarz auf der Seite der Uni Bonn.
[Uni-Bonn, Podcast]


⁽³⁾ Kanzlerdemokratie. Der Begriff ist umstritten, dennoch erscheint er mir angemessen, da Kanzler auch Macht ausüben, die über die rechtlichen Beschreibungen hinausgeht, hauptsächlich durch die Wirkung auf die Öffentlichkeit begründet sind.
[Wikipedia]


⁽⁴⁾ Im Video ab 1:50 min: Die sechs Hauptgründe des Scheiterns: 1. Massiver Vertrauensverlust in der eigenen Partei mit der Folge eines Putsches, 2. Koalitionsbruch, 3. Größere Attraktivität der zweiten Großpartei, 4. Spektakuläre Wahlniederlagen der Kanzlerpartei bei Landtagswahlen, 5. Abwahl eines Kanzler bei einer Bundestagswahl, 6. Anteil der eigenen Persönlichkeit des Kanzlers am Scheitern.
[Uni-Bonn, Podcast]


⁽⁵⁾ Im Handelsblatt wird der wirtschaftspolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, zitiert. Dieser möchte eine schnelle Änderung des EEG in Richtung dahin, dass sich die NIE dem Markt stellen müssen.
[Handelsblatt]


⁽⁶⁾ Peter Heller beschreibt im Science-Skeptical dass die Bundesregierung in zwei Gruppen zerfällt. Diejenigen die als oberste Priorität die Macht sehen, und die Überzeugungstäter wie Röttgen.
[Norbert Röttgen und die neue APO]


⁽⁷⁾1989 versuchten Lothar Späth, Rita Süssmuth, Ernst Albrecht und Heiner Geißler an Kohls Stuhl zu sägen. Der hatte aber durch seine guten Kontakte stets einen Informationsvorsprung und konterte seine innerparteilichen Gegner aus.
[Blamierte Frondeure]


Agenda 2010 und die Energiewende - Teil 2



Dieser Text ist im Buch Im Spannungsfeld |1 enthalten.

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